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Eine Reise nach Bosnien: 6. bis 12. Juli 2012

Massengräber in Srebrenica
Artikel im Stadtmagazin 3/2013, S. 26: Umblättern geht nicht Tausende Gräber, 520 neue Särge, unzählige zurückgebliebene Frauen. Ein Besuch in Zugs Partnerstadt Kalesjia – zwanzig Jahre nach Ausbruch des Bosnienkriegs. Das Bild mit den Särgen kennen wir aus dem Fernsehen. Alles andere hat auf keinem Bildschirm Platz. Die Halle etwa, in der sie aufgebahrt sind. Der undefinierbare Geruch, der den Raum füllt. Die drückenden vierzig Grad. Die Schwere der ständig neu belebten Trauer. Oder das weiss gekleidete Paar zwischen den Sargreihen auf der Suche nach dem Sohn, von dem es sich endlich verabschieden möchte. Vater und Mutter, die ihr Kind dann auch finden, vor ihm niederknien, beten. Belauert von einer Horde Fotografen, deren Foto wir anderntags in der Zeitung überblättern. Weil wir es schon kennen, tausendmal gesehen haben. Jetzt aber sehe ich das alles in echt vor mir. Umblättern geht nicht. Fünfhundertzwanzig «Es wird heavy.» Eljub Ramic hatte mich vorgewarnt. Der 30-jährige Zuger begleitet uns, eine Reisegruppe und eine Delegation des Stadtrates, auf dem Weg durch Bosnien in Zugs Partnerstadt Kalesija und zur Gedenkstätte in Potočari bei Srebrenica. Es ist eine Reise in seine alte Heimat. Er übersetzt, hilft beim Organisieren, zeigt uns seine Lieblingsorte. Die Gedenkstätte ist keiner davon. Aber jetzt stehen wir hier vor dieser Halle. Drinnen die Särge, draussen die Grabsteine, mittendrin die Ohnmacht. Schauen in die Augen einer Frau, deren gesamte Familie ausgelöscht wurde. Ich versuche, mir das nicht im Detail vorzustellen. Und dann erzählt sie, wie die Frauen von den Männern getrennt wurden, wo sie ihre beiden Söhne, ihren Mann zum letzten Mal sah. Es ist die Geschichte dreier von über 8000 Knaben und Männern, die beim Völkermord während des Bosnienkriegs getötet wurden. Beim Eingang der Halle hängt eine Liste mit Namen und Nummern. Fünfhundertzwanzig. So viele Leichen wurden im vergangenen Jahr neu identifiziert. Teils nur dank einzelner Knochen. Der Schädel lag dort, der Rest woanders. Ausgegraben unter irgendeiner Wiese, mit Blumen, die dort nicht wachsen würden, wenn kein Massengrab darunter läge. Die ganze Geschichte hinter dieser unvorstellbaren Tragödie in ihrer Komplexität zu erfassen, scheint für Aussenstehende unmöglich. Einer, der das kann, begleitet uns als Reiseführer. Tobias Wernle kennt Bosnien seit den frühen 1970er-Jahren. Als Schweizer darf er sagen, was Einheimische nicht zu denken wagen. Geduldig beantwortet er all unsere Fragen, versucht zu formulieren, was niemand verstehen mag: «Beim Bosnienkrieg vor zwanzig Jahren ging es nicht um Menschen, sondern um Politik, Macht, Religion und Landverteilung.» Nach dem Krieg, bei den ersten bosnischen Nachkriegswahlen bei Flüchtlingen in Kroatien, da vertrat Tobias Wernle die Schweiz in der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa). Seine Frau Marija und er haben schon einige Hilfsprojekte auf die Beine gestellt. Dank ihnen treffen wir hier jetzt auch die Frauen von Srebrenica. Gegen das Vergessen Warum tun sie sich das an? Diese Frauen hier, die Fremden immer wieder von ihren Erlebnissen erzählen? Den Schmerz jedes Mal von neuem durchleben? «Wir wollen, dass man etwas aus unserer Vergangenheit lernt», sagt Munira Subašić. Sie ist eine der Witwen und setzt sich als Präsidentin für die Hilfsorganisation «Mothers of Srebrenica and Zepa Enclaves» ein. «Unsere Aufgabe ist, als überlebende Zeuginnen davon zu reden, die Sachen beim Namen zu nennen.» Sie sagt es ohne Wut, ohne Hass. «Meine Enkelin Sara soll auch kroatische, serbische und Roma-Freundinnen haben. Damit sich so etwas nicht wiederholt». Dass die verschiedenen Ethnien sehr wohl «als eine multinationale, multikulturelle und multireligiöse Gesellschaft» zusammenleben können, davon ist auch der katholische Bischof Franjo Komarica überzeugt. «Alles andere ist eine Lüge und eine politische Erfindung.» Das Trauma Alles ist anders, als vor dem Krieg. «Unsere Kultur ist tot», sagt Haris Hadžihajdarević, 41 Jahre alt, Reiseführer und Mitarbeiter eines neu aufgebauten Nationalparks bei Bihać. Der studierte Jurist versucht, sich mit mehreren Jobs über Wasser zu halten. «Zum Weggehen bin ich zu alt. Wer hier bleibt, muss ein breites Spektrum abdecken und gut improvisieren können.» Es gibt auch jene, die zurückkommen, um einen Traum zu verwirklichen. Wie Almir Kurtović. Der in Wollerau wohnende Bosniake, also Bosnier mit muslimischen Wurzeln, restauriert nahe bei Bihać die kriegsgeschädigte Burg Ostrožac. Er investiert sein letztes Geld, um sie vor dem Einsturz zu bewahren. Seine Passion ist die Vergangenheit. Jene vor dem Krieg. Hier lebt er, hier spielen seine Geschichten. «Bosnien ist ein Märchenland. Die Menschen haben es zur Hölle gemacht.» In Srebrenica, nicht weit von der Halle entfernt, betreten wir die Gedenkstätte. Sind inmitten von unzähligen weissen Grabsteinen. Einige Gruben sind frisch ausgehoben – für die Särge mit den neu identifizierten Opfern. Neben mir steht Eljub Ramic. Auch sein Grossvater, sein Onkel, sein Cousin wurden damals in verschiedene Lager verschleppt. «Du musst das irgendwie verarbeiten. Nicht vergessen. Aber verarbeiten.» Er war zehn als seine Familie ein Jahr vor dem Krieg nach Zug kam. In der Schweiz ist er zu Hause, seine beiden Kinder kriegen sowohl Schweizer wie auch bosnische Werte mit auf den Weg. Diese Reise fordert auch ihn. «Das Schlimme ist, wie soll ich sagen, du siehst die Leute, die da liegen. Theoretisch wärst du auch da.» Er zögert. «Einerseits bist du dann glücklich, dass du nicht da liegst. Anderseits fragst du dich: ‚Warum ich nicht?’» Text Michaela Eicher Fotoreportage auf www.stadtzug.ch/bosnien Städtefreundschaft Zug – Kalesija Die Stadt Zug pflegt mit Kalesija, Bosnien-Herzegowina, seit 2008 eine Städtefreundschaft. Kalesija ist immer noch vom Bosnienkrieg gezeichnet; die wirtschaftliche Situation ist nach wie vor kritisch. Mit der Lieferung von Schulmobiliar, Feuerwehr- und Werkhofmaterial, Computer für die Schulen sowie mit einem Beitrag an den Bau einer neuen Sporthalle hat die Stadt in den letzten Jahren Hilfe vor Ort geleistet. Im Rahmen dieser Städtefreundschaft organisierten Stadtschreiber Arthur Cantieni, Huso Dedovic, Elvis Dedovic und Eljub Ramic vom 6. bis 12. Juli 2012 eine Reise nach Bosnien. 40 Zugerinnen und Zuger – darunter auch eine Delegation des Stadtrates – folgten der Einladung. Sie konnten mit Vertreterinnen und Vertreter der verschiedenen Ethnien über die Politik, die Religion und die Zukunft von Bosnien-Herzegowina diskutieren. «Wir haben aus erster Hand in kurzer Zeit ungemein viel über das Land erfahren», sagt Vreny Landtwing. «Höhepunkte waren die Begegnungen mit verschiedenen Menschen: den Frauen von Srebrenica, dem Imam der Muslimischen Gemeinde und dem Bischof der katholischen Kirche in Banja Luka, dem Historiker der orthodoxen Kirche und dem Schweizer Konsul in Sarajevo.» Die Städtefreundschaft Zug – Kalesija soll nun mit der Gründung eines Vereins vertieft werden. Ziel: Den Kontakt zwischen der Bevölkerung von Zug und Kalesija fördern und pflegen, um dadurch einen Beitrag zum besseren Verständnis anderer Kulturen zu leisten. Interessiert? Dann melden Sie sich bei arthur.cantieni@stadtzug.ch oder eljub.ramic@bluewin.ch.